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Wirtschaft Gemeinsame Agrarpolitik

Europa zahlt 387 Milliarden Euro für eine Idee aus dem letzten Jahrtausend

Korrespondent Europäische Wirtschaft
Bisher ist die Größe der landwirtschaftlichen Fläche einausschlaggebender Faktor für die Höhe der EU-Subventionen Bisher ist die Größe der landwirtschaftlichen Fläche einausschlaggebender Faktor für die Höhe der EU-Subventionen
Bisher ist die Größe der landwirtschaftlichen Fläche ein ausschlaggebender Faktor für die Höhe der EU-Subventionen
Quelle: dpa
Geld für Bauern ist der mit Abstand größte Posten im EU-Haushalt. Das wird auch in den kommenden sieben Jahren so bleiben. Denn eine Agrarreform haben Berlin und Brüssel verpasst. Immerhin: Mafia und Oligarchen sollen sich künftig nicht mehr an den Mitteln bereichern können.

Für Julia Klöckner war es eine lange Nacht. Die Bundesministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz leitete die fast zweitägigen Verhandlungen über eine Reform der EU-Agrarpolitik.

Weil Deutschland derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, koordinieren die Mitglieder der Bundesregierungen die Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten. Als Klöckner am frühen Mittwochmorgen im Tagungsort Luxemburg vor die Mikrofone trat, konnte die Ministerin eine Einigung verkünden.

Für die Bundesregierung ist das ein Erfolg, denn eine Einigung schien alles andere als sicher. Den Marathonverhandlungen vorausgegangen waren Monate und Jahre der zähen Auseinandersetzungen und intensive Lobbyarbeit der betroffenen Branchen und Unternehmen – nicht nur in Brüssel, sondern vor allem auch in den nationalen Hauptstädten. Bis zuletzt war nicht klar, ob es eine Einigung geben würde.

Denn es geht um viel Geld; sehr viel Geld. Für die sogenannte Gemeinsame Agrarpolitik will die Europäische Union (EU) in den kommenden sieben Jahren insgesamt 387 Milliarden Euro ausgeben. Zuletzt machten die Agrarausgaben rund 38 Prozent des Budgets aus und das wird auch in der kommenden Haushaltsperiode so bleiben.

Es gab gute Gründe dafür, die Agrarpolitik von Brüssel aus zu steuern

Die Gelder für die Bauern sind damit mit Abstand der größte Posten im EU-Haushalt. Dieses enorme Gewicht der Landwirtschaftspolitik ist eigentlich ein Anachronismus, schließlich arbeitet in der Landwirtschaft nur noch ein Bruchteil aller Beschäftigten und sie macht nur 1,5 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung der Union aus.

In einigen Ländern wie Polen ist dieser Anteil höher; in reicheren nordwesteuropäischen Ländern weit geringer. Am Beginn der europäischen Einigung gab es gute Gründe dafür, der Unterstützung für die europäische Landwirtschaft ein solches Gewicht zu geben. Die Märkte in Europa waren zersplittert, Lieferketten noch nicht so über den Kontinent gelegt wie heute und die Lebensmittelversorgung in Nachkriegseuropa stand auf dem Spiel.

Eine von Brüssel gesteuerte Agrarpolitik war da sinnvoll. Seitdem fällt es der EU aber schwer, sich von dieser Verpflichtung zu trennen. In den 80er-Jahren machten die Landwirtschaftsausgaben immer noch zwei Drittel des EU-Haushalts aus.

Seitdem bemüht sich die Europäische Kommission, von der die EU-Gelder verwaltet werden, zwar, den EU-Haushalt zu modernisieren. Aber der Fortschritt ist so zäh, dass auch die Zusammensetzung des kommenden Budgets den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht angemessen ist.

Das liegt vor allem an den Mitgliedstaaten – zuallererst denjenigen, die Nettoempfänger der Agrarpolitik sind. Sie haben kein Interesse daran, das Gesamtbudget zusammenzustreichen. Aber auch in Ländern wie Deutschland bleiben Bauern eine einflussreiche Interessengruppe und auch das ist ein Grund für die zähen Verhandlungen Anfang dieser Woche: Kein Land will auf Geld aus dem großen Agrartopf verzichten.

Engagement für Tierwohl und Umweltschutz belohnen

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Was dabei auf der Strecke bleibt, ist die Modernisierung der Landwirtschaftspolitik. So auch bei der aktuell beschlossenen Reform. Im Kern ging es darum, den Anteil der Landwirtschaftspolitik am EU-Haushalt – begrenzt – herunterzuschrauben.

Gleichzeitig sollten Änderungen beim Budget die Landwirtschaft ökologischer machen und dafür sorgen, dass die Bauern in Europa zu einer treibenden Kraft im Kampf gegen den Klimawandel werden.

Gegenwärtig sind die Landwirtschaft, insbesondere die Viehwirtschaft ein großer Verursacher von Treibhausgasen. Die Kommission hatte deshalb vorgeschlagen, dass Bauern künftig mehr Geld erhalten sollen, wenn sie sich um Umweltschutz, Klimaschutz und das Tierwohl bemühen.

Bisher wird ein Großteil der Agrargelder direkt an die Bauern ausgezahlt – in Deutschland waren es im Schnitt zuletzt knapp 21.000 Euro pro Jahr. Die Summe richtet sich vor allem danach, wie große die Fläche ist, die Betriebe bewirtschaften.

Dass die Gelder nach Fläche fließen und Landbesitz ein Garant für die Subventionen ist, wird häufig kritisiert, nicht zuletzt, weil diese Praxis dafür sorgt, dass große Unternehmen viel Geld bekommen.

Die Landwirtschaftsbetriebe müssen zwar heute bereits ökologische Mindeststandards erfüllen, aber das Geld fließt weitgehend unabhängig davon, wie umweltfreundlich sie arbeiten.

Kritiker finden die Öko-Regelungen zu vage formuliert

Die Runde der Mitgliedstaaten hat sich jetzt darauf geeinigt, dass mindestens 20 Prozent der direkten Zahlungen nur an jene Landwirte gehen sollen, die ökologisch überdurchschnittlich viel leisten, also etwa beim Artenschutz.

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Klöckner geht davon aus, dass Deutschland künftig fast genau so viel Geld aus dem Agrarbudget bekommen wird, wie bisher. Ihr Ministerium rechnet damit, dass die Zahlungen an deutsche Bauern um 0,7 Prozent auf 44 Milliarden Euro sinken.

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Kritiker halten diese Koppelung der Gelder an sogenannte Eco-Schemes oder Ökoleistungen allerdings für wenig mehr als ein Feigenblatt. „Der Kompromiss ist eine herbe Enttäuschung“, sagt etwa Friedrich Heinemann, Leiter des Bereichs öffentliche Finanzen am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).

„Die vage formulierten Öko-Regelungen spielen eine viel zu geringe Rolle in der Mittelzuteilung. Noch dazu werden die Details den Mitgliedstaaten überlassen. Dies wird zu einem Wettlauf nach unten bei den Öko-Auflagen führen.“

Auch Umweltschützer reagierten enttäuscht auf die nächtliche Einigung, genauso wie die Grünen und Umweltministerin Svenja Schulze (SPD). Schulze sagte, jetzt müssten die progressiveren Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass die Vorgaben zumindest national so umgesetzt würden, dass sie Klima-, Tier- und Naturschutz stärken.

Für Unternehmen gibt es eine Höchstprämie – für Einzelpersonen nicht

In den kommenden Wochen könnte allerdings noch das Europäische Parlament dafür sorgen, dass mehr Ökologie in das Paket kommt. Denn mit der Einigung der Mitgliedstaaten ist es noch nicht getan. Auch die Parlamentarier dem Agrarhaushalt zustimmen. Und sie fordern, dass künftig nicht nur 20 Prozent, sondern 30 Prozent der Direktzahlungen an die Ökoleistungen gekoppelt werden sollen.

Weil es um viel Geld geht, ging es auch bei der Abstimmung im Parlament hinter den Kulissen des menschenleeren Sitzungssaals hoch her. Noch am Mittwoch arbeiteten führende Abgeordnete daran, einen Zusatz durch das Plenum zu bringen, der dafür sorgen kann, dass sich organisierte Kriminalität und Oligarchen weniger als bisher an den Agrarzahlungen bereichern können.

Der Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission, der auf dem Tisch liegt, sieht vor, dass der Betrag gedeckelt wird, den ein Unternehmen an Grundprämien bekommt. Monika Hohlmeier, die Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses im Parlament, hält diese Vorschrift allein für nicht ausreichend.

„Der Kommissionsvorschlag geht in die richtige Richtung, aber es gibt natürliche Personen, die Dutzende oder sogar Hunderte von Einzelunternehmen kontrolliert. Eine Obergrenze von maximal 500.000 Euro Hektarprämie muss deshalb auch für natürlich Personen gelten, auch für Milliardäre und Oligarchen wie Andrej Babiš. Steuergelder müssen fair verteilt werden!“

Noch am Dienstag und Mittwoch arbeitete die CSU-Politikerin daran, eine breite Mehrheit für diesen Vorstoß zu organisieren. Bis Ende des Jahres sollen die Verhandlungen zwischen Parlament und Mitgliedstaaten beendet sein. In Kraft treten werden die neuen Regeln allerdings frühestens 2023.

Mitarbeit: Stephan Maaß

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